Expert:innen aus Wissenschaft, Gesundheitswesen und Verbraucherschutz haben an die Ampel-Parteien appelliert, die Pläne des Bundesernährungsministers Cem Özdemir zum Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung zu unterstützen. Das Vorhaben des Ministers könne ein Durchbruch im Kampf gegen ernährungsbedingte Krankheiten werden und Deutschland international zum Vorreiter machen, betonten der AOK-Bundesverband, die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG), die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), die Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin (DGKJ), die Stiftung Kindergesundheit und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in der Bundespressekonferenz am Donnerstag. Wer sich gegen die Pläne des Bundesernährungsministers stellt, stellt sich damit auch gegen die Kindergesundheit, so die Organisationen.
Das Bundesernährungsministerium hat am Montag ein Vorhaben für mehr Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung vorgestellt. Auf Grundlage der Empfehlungen der WHO soll künftig zwischen 6 und 23 Uhr nur für gesunde Lebensmittel geworben werden. Zudem soll eine Bannmeile für Außenwerbung um Schulen oder Kitas entstehen.
„Aus Sicht von Wissenschaft und Forschung ist es eindeutig: Der Schutz vor ungesunden Kinderprodukten ist aktiver Kinderschutz“, sagte Kinder- und Jugendarzt Prof. Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der DGKJ-Ernährungskommission und der Stiftung Kindergesundheit. Zudem verwies er mit Blick auf kindliches Übergewicht auf das erschreckende soziale Ungleichgewicht gesundheitlicher Probleme – und damit auf einen Missstand, der vielen nicht bewusst sei: „Eine schlechte Ernährung in den frühen Lebensjahren sorgt gleich auf zwei Ebenen für große Gesundheitsrisiken, denn zum einen ist gesunde Ernährung für Wachstum, Entwicklung, Leistungsfähigkeit und langfristige Gesundheit besonders wichtig, zudem werden im Kindesalter jene Vorlieben und Gewohnheiten erlernt und gefestigt, welche die Speisen- und Getränkeauswahl im späteren Alter prägen.“
„Im Schnitt sehen Kinder täglich 15 Werbespots für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt. Das haben wir als AOK und DANK bereits 2021 anhand einer gemeinsamen Studie nachgewiesen. Während der Pandemie hat sich der Medienkonsum Heranwachsender weiter gesteigert. Deshalb müssen wir Kinder und Heranwachsende vor ungesunder Werbung schützen. Denn sie beeinflusst maßgeblich ihr Kauf- und damit auch ihr Essverhalten. Wir setzen uns seit Jahren für eine Stärkung der gesunden Ernährung von Kindern ein“, sagt Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes.
vzbv-Vorständin Ramona Pop ergänzt: „Es gibt eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, um unsere Kinder zu schützen. Minister Özdemir muss Kurs halten und die Interessen der Verbraucher:innen in den Mittelpunkt der Politik stellen. Die große Mehrheit der Eltern und Großeltern wünscht sich Regeln, um Kinder vor Werbung für Junkfood, Zuckerbomben und Fettfallen zu schützen. Wenn die Werbeindustrie sagt, Werbung habe keinen Einfluss, dann sollte sie sich fragen, warum sie Milliarden dafür ausgibt? Es gibt genügend Studien, die zeigen, dass Werbung Kaufverhalten und Geschmackspräferenzen bei Kindern und Jugendlichen beeinflussen.“
„Die Strategien der Werbeindustrie und Süßwarenindustrie sind vergleichbar mit denen der Tabakindustrie, die jahrelang erfolgreich gesundheitspolitische Maßnahmen verzögert hat“ erläuterte Oliver Huizinga, Politischer Geschäftsführer der DAG. „Die Branchen versuchen gezielt, Zweifel an der Wirksamkeit der Gegenmaßnahmen zu säen und ihre Partikularinteressen als einen Einsatz für das Gemeinwohl zu tarnen. In Wahrheit steckt dahinter schlicht die Befürchtung, dass die Pläne Özdemirs wahr werden können und Wirksamkeit entfalten. Anders ist die vehemente Gegenwehr nicht zu erklären“, so Huizinga.
„Werberegulierungen sind ein entscheidender erster Schritt und der von Bundesminister Cem Özdemir gewählte Ansatz ist sehr zu begrüßen. Die Sendungen mit den höchsten Einschaltquoten von Kindern sind oftmals keine klassischen Kinderformate, sondern etwa Castingshows oder Fußballübertragungen. Es ist daher folgerichtig, dass Minister Özdemir die Werbung für Ungesundes auch im Umfeld von Familiensendungen in den Abendstunden eindämmen möchte. Durch die Wahl des WHO-Nährwertmodells als Grundlage ist sichergestellt, dass Lebensmittel mit zu viel Fett, Zucker und Salz effektiv erfasst werden. Wir appellieren an die Koalitionspartner, die gut durchdachten Pläne des Ministers zu unterstützen“, fordert Barbara Bitzer, Sprecherin des Wissenschaftsbündnisses DANK und Geschäftsführerin der DDG.