Durch die folgenden Buttons können Sie direkt auf einen speziellen Bereich des Inhaltes springen
Datum: 01.08.2022

vzbv-Vorständin fordert schnelle Entlastungen: „Regierung kann nicht noch monatelang streiten“

Interview von Ramona Pop mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland

Press Photo 10, Ramona Pop, Executive Director of the Federation of German Consumer Organisations

Quelle: © Die Hoffotografen GmbH / Christine Blohmann / vzbv

Frau Pop, direkt zu Ihrem Antritt als oberste Verbraucherschützerin haben Sie es mit einer hohen Inflation, steigenden Energiepreisen und Lieferengpässen zu tun. Brauchten Verbraucher eigentlich jemals mehr Schutz als derzeit?

Gerade in Krisenzeiten ist Verbraucherschutz kein Luxusthema. Verbraucherschutz ist das Gebot der Stunde. Unsere zentrale Aufgabe ist es, für Transparenz und klare Regeln zu streiten und dafür zu sorgen, dass Entlastungen für Verbraucherinnen und Verbraucher in der Krise schnell ankommen.

Gazprom reduziert die Gaslieferungen weiter. Der Gasversorger Uniper wird mit Milliarden gerettet, eine Umlage kommt auf die Menschen zu. Wie besorgt sind die Verbraucherinnen und Verbraucher?

Viele Menschen sind verzweifelt. Sie wissen nicht, was auf sie zukommt und ob sie ihre Energierechnung am Ende noch bezahlen können. Das sehen wir auch in einer Umfrage, die die Verbraucherzentrale in Auftrag gegeben hat: 76 Prozent der Befragten machen sich Sorgen wegen der finanziellen Belastung durch die Energiepreiskrise.

Was muss passieren, um die Sorgen zu nehmen?

Es braucht Klarheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher. In der Öffentlichkeit schwirren viele unterschiedliche Zahlen herum, wie hoch die Gasumlage sein könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von bis zu 300 Euro, doch offenbar könnte es noch deutlich mehr sein. Umso wichtiger ist es, nun zügig ein Hilfspaket auf den Weg zu bringen, um den Menschen etwas Sicherheit zu geben und ihnen die Angst zu nehmen, dass sie am Ende die ganze Last tragen.

Wen sollte das Paket besonders berücksichtigen?

Insbesondere einkommensschwache Haushalte, Wohngeldempfangende, Rentnerinnen und Rentner und Studierende müssen durch das Entlastungspaket unterstützt werden. Sie leiden schon seit Monaten unter den hohen Preisen und viele stehen mit dem Rücken zur Wand. Am wichtigsten ist schnelles Handeln: Wenn die Gasumlage kommt, muss das Hilfspaket stehen. Die Regierung kann nicht noch monatelang streiten.

Die Bundesregierung will das Wohngeld reformieren, um zu entlasten. Wie hoch sollte eine ins Wohngeld integrierte Heizkostenpauschale sein?

Wir müssen davon ausgehen, dass uns die Preissteigerungen noch eine lange Zeit begleiten werden. Darum unterstützen wir die Forderung der Sozialverbände, eine dauerhafte Unterstützung in Form einer Heizkostenpauschale für Wohngeldempfangende zu schaffen. Die Hilfe sollte sich an der Preisentwicklung orientieren. Es muss aber jedem klar sein, dass die Gaspreise nicht mehr auf das Niveau der letzten Jahre fallen werden. Darum müssen wir Energie sparen. Das spart bares Geld.

Viele Menschen decken sich mit Heizlüftern ein, um zu sparen. Ist das nicht ein Trugschluss?

Absolut. Man spart mit Heizlüftern kein Geld, ganz im Gegenteil, man treibt die Stromrechnung in die Höhe. Hinzu kommt die Gefahr, dass die Stromverteilnetze überlastet werden, wenn massig Heizlüfter angeworfen werden.

Im vergangenen Jahr gab es mehr als 200.000 Stromsperren, mehr als 30.000 Gassperren. Sie plädieren ebenso wie die Verbraucherschutzministerin Lemke für ein Moratorium.

Ja, wie in der Corona-Krise muss jetzt wieder ein Moratorium für Energiesperren eingeführt werden, damit im Winter niemand friert oder im Dunkeln sitzt. Es ist gut, dass in der Bundesregierung darüber nachgedacht wird. Aber auch hier gilt: Das Moratorium muss jetzt zügig kommen und nicht erst Anfang nächsten Jahres.

Braucht es eine Konkretisierung der Gaspriorisierung?

Die Diskussion um eine Gaspriorisierung halte ich für brandgefährlich. Es gibt eine klare rechtliche Grundlage, wonach soziale Infrastruktur und Privathaushalte geschützt sind. Die Europäische Union sieht keinen Anpassungsbedarf. Wir dürfen Arbeitsplätze nicht gegen Wohnungen ausspielen, sondern brauchen Solidarität beim Thema Energiesparen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir dürfen nicht mit dem Finger aufeinander zeigen. Das haben die Verbraucher auch verstanden. Wie unsere Umfrage zeigt, sehen sie sich selbst (73 Prozent), Unternehmen (72 Prozent) und den öffentlichen Sektor (70 Prozent) zu fast gleichem Maße in der Verantwortung, den Energieverbrauch zu senken.

Die Verbraucherzentralen bieten auch Energieberatungen an. Wie werden die angenommen?

Unsere Energieberatungsangebote werden derzeit überrannt. Die Nachfrage ist deutlich gestiegen. Für dieses Jahr rechnen wir, wenn wir den bisherigen Verlauf sehen, im Vergleich zu 2021 mit 50 Prozent mehr Energieberatungen. Wir nutzen deshalb auch Formate wie Onlinewebinare und wollen das Angebot schnellstmöglich ausweiten. Dazu sind wir mit dem Bund im Gespräch.

Was benötigen Sie, um die Energieberatung breiter aufzustellen?

Natürlich geht es immer auch um finanzielle Unterstützung. Aber vor allem braucht es qualifiziertes Personal. Wir konnten dazu bereits zusätzliche Unterstützung gewinnen, zum Beispiel Schornsteinfeger.

Ein anderes Thema, das viele Menschen derzeit umtreibt, ist das Flugchaos. Es werden Flüge gestrichen oder sie sind heillos verspätet. Lässt sich die Lage für Reisende noch in den Griff kriegen?

Für dieses Jahr kann niemand eine verlässliche Prognose abgeben, schauen Sie sich mal das Chaos an. Zwar will die Bundesregierung ausländische Fachkräfte einsetzen, aber es deutet sich bereits an, dass die Bemühungen für diesen Sommer nicht mehr helfen.

Das hören Verbraucher sicher nicht gerne. Zudem bleiben viele auf den Ticketkosten sitzen. Was schlagen Sie vor?

Die Probleme sind hausgemacht, vor allem von den Airlines. Es kann nicht sein, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher das nun ausbaden und für Flüge im Voraus bezahlen, die am Ende gar nicht stattfinden. Damit geben sie den Airlines faktisch zinslose Kredite, damit diese wieder finanziell liquide sind. Und das gerade jetzt in einer Zeit, in der Verbraucher ihr Geld selbst dringend benötigen. Deswegen muss das Prinzip Vorkasse abgeschafft werden. Dieser Sommer hat wieder einmal gezeigt, dass die Luftfahrtbranche keinen Vertrauensvorschuss verdient hat.

Kommen wir zur Langlebigkeit von Produkten: Die EU will noch in diesem Jahr eine Richtlinie zum Recht auf Reparatur auf den Weg bringen. Wie kann gewährleistet werden, dass Menschen eher Dinge reparieren, statt neu zu kaufen?

Wir sehen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern schon ein Umdenken. Sie wollen Produkte länger nutzen und auch reparieren, aber die Hersteller sind gefordert, haltbare und reparierfähige Produkte auf den Markt zu bringen. Wir brauchen verpflichtende Angaben, wie lange die Nutzungsdauer sein soll – und wie reparaturfähig Produkte sind. Das sollte nicht nur für Elektronikartikel, sondern auch für Kleidung und Haushaltsmöbel gelten.

Wie kann man dafür sorgen, dass die Hersteller nicht am Ende die Mehrkosten bei der Produktion auf die Verbraucher umlegen?

Es mag sein, dass langlebigere Produkte in der Anschaffung teurer sind, aber durch die längere Nutzungszeit werden die höheren Anschaffungskosten wieder reingeholt. Würden Produkte länger halten, könnten Verbraucher viel Geld sparen und übrigens auch CO₂.

In Thüringen gibt es einen Reparaturbonus. Wäre das ein Modell für ganz Deutschland?

Es gibt tolle Ansätze, die man für ganz Deutschland übernehmen sollte. Der Reparaturbonus ist so ein Beispiel. Wir sehen, dass in der Gesellschaft ein Umdenken stattfindet. Viele Menschen wollen nicht mehr ständig etwas Neues kaufen und das Alte wegwerfen. Die Politik sollte das unterstützen.

 

Das Interview erschien am 30. Juli 2022 beim Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Alles zum Thema: Preiskrise

Artikel (150)
Dokumente (32)
Mogelpackungen - Verbrauchertäuschung auf den zweiten Blick

Mogelpackungen - Verbrauchertäuschung auf den zweiten Blick

Positionspapier des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) zu Shrinkflation und Skimpflation | Juni 2024

Ansehen
PDF | 272.26 KB
Verbraucher:innen besser vor Energiesperren schützen

Verbraucher:innen besser vor Energiesperren schützen

Kurzstellungnahme des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) zum Entwurf einer Verordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zur Anpassung der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) und der Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV) | April 2024

Ansehen
PDF | 94.27 KB
vzbv-Bericht Strom- und Gaspreise

vzbv-Bericht Strom- und Gaspreise

Preismonitoring Strom und Gas der Marktbeobachtung des Verbraucherzentrale Bundesverband von Januar 2023 bis Januar 2024 I März 2024

Ansehen
PDF | 513.48 KB
Transparenz der Energiemärkte wichtig

Transparenz der Energiemärkte wichtig

Kurzstellungnahme des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) zu den von der Bundesnetzagentur (BNetzA) und dem Bundeskartellamt erstellten Fragebögen im Rahmen des Energie Monitorings 2024 | 14.  Februar 2023

Ansehen
PDF | 126.11 KB
Mehrkosten Fernwärme nach dem vorzeitigen Ende der Energiepreisbremsen

Mehrkosten Fernwärme nach dem vorzeitigen Ende der Energiepreisbremsen

Sondererhebung zum Preismonitoring Fernwärme des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. I Januar 2024

Ansehen
PDF | 171.87 KB
Urteile (6)
Videos & Grafiken (27)
Verbraucher:innen erwarten von der Bundesregierung Maßnahmen gegen hohe Preise

Quelle: Telefonbefragung von forsa im Auftrag des vzbv

Verbrauchererwartungen 2024

Verbraucher:innen erwarten von der Bundesregierung Maßnahmen gegen hohe Preise

Vorschau
PNG | 562.26 KB | 4724x2657
Inflation und steigende Preise sind größte Sorge der Verbraucher:innen

Quelle: Telefonbefragung von forsa im Auftrag des vzbv

Verbrauchererwartungen 2024

Inflation und steigende Preise sind größte Sorge der Verbraucher:innen

Vorschau
PNG | 452.15 KB | 4724x2657
 Knapp die Hälfte der Verbraucher:innen blickt eher negativ auf das Jahr 2024 | Frage: Wenn Sie an Ihre persönliche Situation als Verbraucher oder Verbraucherin denken: Wie blicken Sie dem Jahr 2024 entgegen – eher positiv oder eher negativ?

Quelle: Telefonbefragung von forsa im Auftrag des vzbv

Verbrauchererwartungen 2024

Knapp die Hälfte der Verbraucher:innen blickt eher negativ auf das Jahr 2024 | Frage: Wenn Sie an Ihre persönliche Situation als Verbraucher oder Verbraucherin denken: Wie blicken Sie dem Jahr 2024 entgegen – eher positiv oder eher negativ?

Vorschau
PNG | 516.21 KB | 4724x2657
Repräsentative telefonische Befragung von forsa im Auftrag des vzbs

Quelle: vzbv

VR-2023 Einschränkung-aufgrund-steigender-Preise kurz.png

Repräsentative telefonische Befragung von forsa im Auftrag des vzbs | April 2023

Vorschau
PNG | 540.34 KB | 4724x2657
Nur knapp ein Viertel macht sich keine Sorgen vor finanziellen Belastungen durch die Energiepreiskrise.

Energiepreiskrise: 76 Prozent wegen finanzieller Belastung besorgt

Nur knapp ein Viertel macht sich keine Sorgen vor finanziellen Belastungen durch die Energiepreiskrise.

Vorschau
JPG | 722.99 KB | 4724x2657
Termine (5)

Kontakt

Kontakt

Icon für Kontakt für Verbraucher

Service für Verbraucher:innen

Was suchen Sie? Wählen Sie eine passende Option:

Kontakt

Telefon-Icon

Pressestelle

Service für Journalist:innen

presse@vzbv.de +49 30 25800-525