Nachhaltigkeit zertifizieren
Zertifizierung spielt für nachhaltigen Konsum eine wichtige Rolle: Verbraucher:innen begegnet sie beim Einkauf in Form von Siegeln wie dem Grünen Knopf und dem Fairtrade-Siegel. Aber auch indirekt hat sie Auswirkungen auf den Konsum: Sie ist sehr wichtig für die Überprüfung des Lieferkettengesetzes oder die Regulierung von umwelt- oder sozialbezogenen Werbeaussagen. Für Verbraucher:innen ist dabei völlig undurchsichtig, wie verlässlich unterschiedliche Zertifizierungen sind oder ob dadurch wirklich nachhaltige Produktion sichergestellt wird.
Zweifel sind angebracht. Immer wieder kommt es zu folgenreichen Fehlern bei Zertifizierung. Katastrophen wie der Dammbruch im brasilianischen Brumadinho, der Fabrikbrand der pakistanischen Textilfabrik Ali Enterprises oder der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch haben die Schwächen des Systems besonders deutlich gemacht. Der Damm und die beiden Fabriken, in denen auch für den deutschen Markt produziert wurde, waren noch kurz vor den Katastrophen als sicher zertifiziert worden, teilweise von deutschen Stellen. Das zeigt: Zertifizierung von Nachhaltigkeit braucht strengere Regeln. Eine Akkreditierungspflicht, gesetzliche Mindestkriterien für die Zertifizierer und Haftungsregelungen können für mehr Verlässlichkeit sorgen und Verbraucher:innen nachhaltigen Konsum ermöglichen.
Der vzbv fordert
- Akkreditierungspflicht für Standards und Zertifizierer in den Bereichen Nachhaltigkeit, sozialbezogene Werbeaussagen und unternehmerische Sorgfalt
- Gesetzliche Mindestkriterien für Zertifizierung
- Haftungsregime für Zertifizierer
- Keine Haftungserleichterungen durch Zertifizierung in der europäischen Lieferketten-Richtlinie.
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Staatliche Aufsicht über Zertifizierung findet über Akkreditierung statt. Akkreditierung kann dabei verstanden werden, als eine „Prüfung der Prüfer“: Zertifizierer, die beispielsweise prüfen, ob die Anforderungen zur Vergabe eines Siegels wie des Grünen Knopfs erfüllt sind, müssen sich zunächst selbst einer Prüfung unterziehen, um akkreditiert zu werden. Eine Pflicht zur Akkreditierung gibt es im Bereich Nachhaltigkeit derzeit noch nicht.
Häufige Fragen
Eine Zertifizierung ist die Bestätigung, dass ein Produkt, eine Dienstleistung, ein Prozess oder ein Unternehmen bestimmte Anforderungen an Nachhaltigkeit – also beispielsweise den Schutz von Menschenrechten in der Lieferkette – erfüllt. Diese Bestätigung erfolgt häufig durch ein Siegel wie den Grünen Knopf oder das Fairtrade-Siegel.
Um eine Zertifizierung zu erhalten, muss ein Unternehmen bestimmte Anforderungen erfüllen, die im so genannten „Standard“ festgehalten sind. Dieser Standard kann von einem Staat, einer NGO, einem Unternehmen oder einer internationalen Organisation (dem „Standardsetzer“) aufgestellt werden.
Die Einhaltung des Standards überprüft ein Zertifizierer wie der deutsche TÜV. Nach erfolgreicher Überprüfung verleiht der Zertifizierer das Siegel.
Standardsetzer, Zertifizierer und das zertifizierte Unternehmen sollten im Idealfall voneinander unabhängig sein.
Zertifizierung begegnet Verbraucher:innen im Alltag vor allem in Form von Produktsiegeln: Siegel wie der Grüne Knopf, der Blaue Engel oder das Fairtrade-Siegel basieren darauf und sollen Verbraucher:innen beim Einkauf Orientierung bieten.
Zertifizierung von Nachhaltigkeit spielt jedoch auch indirekter eine Rolle für Verbraucher:innen: Nicht nur in der Kommunikation mit Verbraucher:innen, sondern auch bei der Kommunikation untereinander greifen Unternehmen immer wieder darauf zurück. Will beispielsweise ein Unternehmen überprüfen, ob seine Zulieferer gesetzliche Pflichten wie das Lieferkettengesetz einhalten, kann Zertifizierung hierbei helfen. Auch Zertifizierung, die Verbraucher:innen nicht direkt am Produkt sehen, spielt also eine wichtige Rolle für nachhaltigen Konsum: Sie kann einen Einfluss darauf haben, unter welchen Bedingungen Konsumprodukte hergestellt werden.
Zertifizierungen sind derzeit völlig unreguliert. Es ist weder klar, ob die einem Siegel zu Grunde liegenden Standards ausreichend oder überhaupt überprüfbar sind. Noch ist sichergestellt, dass die Zertifizierungsunternehmen die Einhaltung des Standards sorgfältig prüfen oder dazu technisch, finanziell und personell in der Lage sind. Oftmals fehlt es auch an einer unabhängigen Aufsicht, weil Unternehmen sich selbst zertifizieren und eigene Siegel erfinden.
Ein konkretes Negativbeispiel ist der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch, bei dem 2015 mehr als 1.130 Menschen starben. Das Fabrikgebäude war noch wenige Monate zuvor von einem deutschen Unternehmen als sicher zertifiziert worden. Tatsächlich wurde die Statik des Gebäudes wohl gar nicht überprüft.
Auf europäischer Ebene wurde eine schärfere Regulierung von Werbung mit Umwelteigenschaften von Produkten beschlossen. Die Umwelteigenschaft, die mit derartigen Siegeln beworben wird, muss künftig von unabhängiger Stelle zertifiziert werden. Aus Sicht des vzbv ist das ein erster Schritt, es fehlen aber Anforderungen, wie Aussagen von Nachhaltigkeitssiegeln untermauert werden können. Hier muss der europäische Gesetzgeber ein System zur Nachweiserbringung festlegen. Zudem muss sichergestellt werden, dass die Zertifizierungsunternehmen die Einhaltung des Standards sorgfältig prüfen oder dazu technisch, finanziell und personell in der Lage sind.
Richtig angewandt kann Zertifizierung ein wichtiges Hilfsmittel zur Überprüfung von nachhaltiger Produktion sein. Sie sollte jedoch nicht missbraucht werden, um Verantwortung auszulagern – weder an Verbraucher:innen, noch an Zertifizierer.
Gesetze für mehr Nachhaltigkeit dürfen sich nicht auf Kennzeichnung durch Siegel beschränken: Damit wird die Verantwortung über Produktionsbedingungen an Verbraucher:innen ausgelagert, die beim Einkauf ganz am Ende einer Lieferkette darüber entscheiden sollen, was am Anfang oder in der Mitte der Kette geschieht – eine Verantwortung, die sie nicht tragen können.
Unternehmen sollten sich zudem nicht, wie immer wieder vorgeschlagen, durch Zertifizierung von ihrer Verpflichtung freikaufen können, ihre Lieferketten zu überprüfen. Eine solche „Safe Harbour“-Regelung lehnt der vzbv ab.
Damit Zertifizierung verlässlicher wird, braucht sie gesetzlich festgelegte Mindestkriterien. Diese sollten beispielsweise regeln, dass nur unabhängige Dritte berechtigt sind, Zertifikate auszustellen. Zudem müssen Zertifizierer organisatorisch und finanziell in der Lage sein, die nötigen Überprüfungen durchzuführen. Sie sollte über die dafür notwendige Expertise verfügen müssen. Vorgaben für die Zertifizierung selbst sollten sicherstellen, dass regelmäßig und unangekündigt überprüft wird. Außerdem müssen Standards anspruchsvoll und überprüfbar sein.
Die Einhaltung dieser Vorgaben sollten wiederum durch eine staatliche Akkreditierung überprüft werden müssen.
Um Zertifizierer bei fehlerhaften Zertifizierungen zur Rechenschaft ziehen zu können, braucht es zudem ein Haftungsregime für Zertifizierungsunternehmen.
Akkreditierung kann verstanden werden als eine Prüfung der Prüfer: Zertifizierungsunternehmen überprüfen die Einhaltung von Standards und zertifizieren ihre Einhaltung, beispielsweise durch Verbrauchersiegel wie den Grünen Knopf. Akkreditierung ist eine staatliche Überprüfung sowohl der Standards, auf deren Grundlage geprüft wird, als auch der Zertifizierer selbst – also des gesamten „Standardsystems“.
Mit der EU-Akkreditierungsverordnung existiert bereits eine EU-weite Infrastruktur für die Akkreditierung von Zertifizierung. Akkreditierung von Zertifizierungen ist bereits in vielen anderen Bereichen Pflicht: So müssen sich auch Stellen, die regelmäßig die Straßentauglichkeit von Autos überprüfen und diese mit dem umgangssprachlichen „Pkw-TÜV“ zertifizieren akkreditieren lassen.
Eine Pflicht zur Akkreditierung gibt es für Zertifizierungen im Nachhaltigkeitsbereich – anders als beispielsweise beim Pkw-TÜV – derzeit noch nicht. Sie könnte aber dazu beitragen, dass Zertifizierung verlässlicher wird.