- Zustimmung einholen statt Zustimmung fingieren: Diese jahrzehntelang grundsätzliche Vorgabe bei Vertragsänderungen bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahr 2021 mit dem Postbank-Urteil.
- Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) arbeitet an einem Gesetzesvorschlag, der die Folgen des BGH-Urteils in der Praxis revidieren würde und über den Bankenbereich hinaus Auswirkungen hätte.
- Verbraucher:innen drohen starke Benachteiligungen.
Wer in Deutschland als Anbieter Verträge ändern und beispielsweise seine Preise erhöhen möchte, muss sich dafür grundsätzlich die ausdrückliche Zustimmung seiner Kund:innen einholen. Diese seit Jahrzehnten gängige Rechtslage hat der BGH im Jahr 2021 mit dem Postbank-Urteil untermauert. Es reicht eben oft nicht aus, die Verbraucher:innen über Vertragsänderungen lediglich zu informieren und ihr erhofftes Schweigen als Zustimmung zu fingieren. Doch laut öffentlich gewordenen Plänen des BMJ soll diese Praxis nun geändert werden – mit negativen Folgen für Verbraucher:innen sowie Verbraucherverbände.
„Anbieter dürfen auf keinen Fall einen Freifahrtschein für einseitige Preiserhöhungen erhalten. Die Vergangenheit zeigt, dass hier nicht immer Fair Play gespielt wurde. Die vorgesehenen Änderungen würden Verbraucher:innen im Alltag deutlich schlechter stellen und Unternehmen eine enorme Preisgestaltungsmacht verleihen.
Ständig müssten die Menschen aufpassen, dass ihnen keine Preiserhöhungen untergejubelt werden. Für Unternehmen würde es mit einem Schlag viel einfacher, bestimmte Dauerverträge quasi einseitig zu Lasten ihrer Kund:innen zu ändern.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordert, dass Verbraucher:innen auch künftig Preiserhöhungen oder anderen wichtigen Vertragsanpassungen ausdrücklich zustimmen müssen. Ein Stillschweigen darf grundsätzlich nicht als Zustimmung gewertet werden. Das käme einem drastischen Einschnitt in die Vertragsfreiheit gleich. Die jüngst publik gewordenen Pläne des BMJ wären eine Rolle rückwärts beim Verbraucherschutz“, sagt Ramona Pop, Vorständin beim vzbv.
Ginge es nach den aktuell diskutierten Überlegungen, müssten Verbraucher:innen bei bestimmten Verträgen Änderungen künftig nicht mehr ausdrücklich zustimmen, damit diese wirksam werden. Vielmehr würde auch ihr Schweigen erstmal als Zustimmung gewertet. Damit würden Banken ihr Ziel von Lockerungen erreichen. „Kommt die angedachte Gesetzesänderung, wären Verbraucher:innen weniger geschützt vor Preissteigerungen durch einseitige Vertragsanpassungen“, so Pop.
Welche Folgen die geplante Neuregelung durch das BMJ haben könnte, zeigt ein Blick in den Bankenbereich: Bis zum Postbank-Urteil im Jahr 2021 hatten Banken ihre Preise für Girokonten kräftig erhöht, ohne dass Verbraucher:innen ausdrücklich zustimmen mussten. Der Branchendienst Finanz-Szene errechnete durchschnittliche Preiserhöhungen von fast 40 Prozent im Zeitraum von 2015 bis 2021 (Link).
Werden die Pläne des BMJ umgesetzt, droht Verbraucher:innen eine erneute Preisspirale – auch außerhalb des Bankenbereichs. Und es ist zu befürchten, dass Unternehmen Preissteigerungen unbemerkt durchdrücken.
Egal ob beim Girokonto, Streamingdienst, Fitnessstudio oder beim Software- und Cloudanbieter: Bisher ist es für Unternehmen nicht so leicht möglich, Vertragsänderungen und Preiserhöhungen ohne Zustimmung einzuführen. Unternehmen können stattdessen für bestehende Verträge beispielsweise eine ausdrückliche Zustimmung zu einer Vertragsänderung einholen. Oder sie können bestehende Verträge kündigen und Verbraucher:innen neue Verträge mit angepassten Konditionen anbieten, um Preiserhöhungen durchzusetzen. Beide Vorgehen haben gemein, dass Verbraucher:innen aktiv werden müssen, bevor Preiserhöhungen greifen können.
Dieser Status quo bedeutet vor allem ein vernünftiges Maß an Sicherheit für die Verbraucher:innen. Hält sich ein Anbieter nicht daran, können Verbraucher:innen und Verbraucherverbände juristisch dagegen vorgehen.
Auch der vzbv klagt derzeit in Fällen, in denen Schweigen unzulässigerweise als Zustimmung fingiert wurde. Beispielsweise läuft eine Musterfeststellungsklage gegen einseitige Gebührenerhöhungen der Berliner Sparkasse – mit guten Aussichten für Verbraucher:innen. Zu einer weiteren Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Köln-Bonn steht im Februar 2024 die erste mündliche Verhandlung an. Auch hier geht es um einseitige Gebührenerhöhungen.
Setzen sich die Anbieter mit ihrem Ansinnen durch, würden die Erfolgsaussichten für derartige Verfahren mit Breitenwirkung schwinden. Stattdessen dürften Gerichte künftig überwiegend mit der Frage befasst sein, ob das vereinbarte Vertragsverhältnis wesentlich zu Lasten der Kund:innen verändert wurde. Gerichte würden nur von Einzelfall zu Einzelfall darüber entscheiden, ob Preise in einem angemessenen Rahmen erhöht worden sind. Rechtssicherheit sieht anders aus. Das wäre ein deutlicher Rückschritt für den Verbraucherschutz in Deutschland.