- Europäische Kommission erwägt Vorsorgeprinzip bei neuer Gentechnik aufweichen.
- Gutachten zeigt: Genschere und andere neuen Gentechniken bergen Risiken und sind noch nicht ausreichend erforscht.
- vzbv fordert strenge Risikoprüfung und Zulassungsverfahren, Kennzeichnungspflicht und Technikfolgenabschätzung.
Die Europäische Kommission erwägt, die strengen Regeln zur Gentechnik aufzuweichen. Für Erbgutveränderungen von Pflanzen mithilfe neuer Verfahren könnten demnach künftig laschere Risikoprüfungen und Zulassungsverfahren gelten. Ein Gutachten im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) sieht darin erhebliche Risiken für Verbraucher:innen und Umwelt. Die Verbraucherschützer fordern die Europäische Kommission auf, an der europäischen Gentechnikregulierung festzuhalten und auf das bewährte europäische Vorsorgeprinzip zu bestehen.
„Neue technische Verfahren zur Veränderung des Erbguts an Pflanzen und Tieren bergen noch nicht vollkommen erforschte Risiken für Mensch und Umwelt. Die Europäische Kommission sollte deshalb für neue Gentechnikverfahren keine Ausnahmen schaffen, sondern auf das bewährte Vorsorgeprinzip setzen. Dazu gehören Kennzeichnungspflichten, strenge Risikoprüfungen und eine umfangreiche Technikfolgenabschätzung, die auch sozio-ökonomische Kosten und Alternativen in den Blick nimmt“, sagt vzbv-Vorständin Ramona Pop.
Im Jahr 2018 hatte der europäische Gerichtshof festgestellt, dass es für die neuen Gentechnikverfahren keine Erfahrungen über die Sicherheit der Anwendungen gibt. Der vzbv beobachtet mit Sorge, dass die Europäische Kommission dennoch erwägt, das strenge Gentechnikrecht aufzuweichen und Ausnahmen für bestimmte neue Gentechnikverfahren zu machen.
Auch ein aktuelles Papier der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geht in diese Richtung. Darin empfiehlt die EFSA, dass bei neuen Gentechnikverfahren an Pflanzen - falls keine „neuen“ Gene eingefügt werden - keine detaillierte Risikoprüfung stattfinden müsse. Die Kommission will 2023 einen Vorschlag für die Regulierung neuer Gentechnik vorlegen.
Neue gentechnische Verfahren können laut Gutachten von Christoph Then im Auftrag des vzbv zu ungewollten genetischen Veränderungen und extremen Ausformungen oder neuen biologische Eigenschaften von Pflanzen und Tieren führen, die bei konventioneller Züchtung kaum zu erwarten sind. So zeigte sich beispielsweise erst nach einigen Jahren, dass bei der Züchtung von hornlosen Rindern in den USA mithilfe neuer Gentechnik versehentlich Gene aus Bakterien in das Tier-Erbgut gelangt waren. Darunter waren auch Gene, die Antibiotikaresistenzen bewirken können. Werden risikobehaftete, unbeabsichtigte Effekte nicht entdeckt, können sie sich rasch in größeren Populationen ausbreiten.
Die beabsichtigten und unbeabsichtigten genetischen Veränderungen können auch schwer vorhersagbare Risiken für Mensch und Umwelt verursachen. Werden beispielsweise Öle und Eiweißstoffe in Lebensmittelpflanzen verändert, kann das sowohl die Verträglichkeit der Lebensmittel beeinflussen als auch zu Störungen in den Interaktionen mit Bestäubern und Bodenorganismen führen.
Zudem haben viele gentechnisch veränderte Pflanzen und Tieren das Potenzial, über lange Zeiträume in der Umwelt zu überdauern und sich auszubreiten, was nur verhindert werden kann, wenn die Organismen ausreichend kontrolliert werden.
Der vzbv fordert die Europäische Kommission auf, auch neue Gentechnikverfahren streng zu regulieren und dabei dem Vorsorgeprinzip Rechnung zu tragen. Dazu gehören eine strenge Risikoprüfung und Zulassungsverfahren, eine umfassende Technikfolgenabschätzung sowie eine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Produkte. Neben den beabsichtigten müssen auch unbeabsichtigte Veränderungen analysiert werden.
Umfragen belegen, dass sich Verbraucher:innen bei Gentechnik Wahlfreiheit und ein hohes Schutzniveau wünschen. In einer Umfrage des Umweltinstituts aus dem Jahr 2021 gaben 84 Prozent an, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel gekennzeichnet werden sollen. 83 Prozent sagten, dass alte und neue Gentechnik einer umfassenden Risikobewertung dem gültigem Gentechnikrecht unterzogen werden sollte.
Die Naturbewusstseinsstudie des Bundesamtes für Naturschutz aus dem Jahr 2019 ergab: 95 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass mögliche Auswirkungen auf die Natur immer untersucht werden sollten, wenn Pflanzen mit neuen Verfahren gentechnisch verändert werden. 81 Prozent sprechen sich für ein Verbot des Einsatzes gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft aus.