Seit über einem Jahr beschäftigt sich die europäische Politik und Digitalwirtschaft mit der Frage, ob Streaming-Dienste und andere Inhalteanbieter wie Google eine Datenmaut an Telekommunikationsanbieter zahlen sollen. Mit der Veröffentlichung einer Sondierungskonsultation im Februar 2023 hat die Europäische Kommission offiziell den Startschuss für eine mögliche Gesetzesinitiative gegeben.
Im Interview erklärt Susanne Blohm, Referentin im Team Digitales und Medien des vzbv, worum es beim Thema Datenmaut geht und wie Verbraucher:innen betroffen wären.
Worum geht es in der Diskussion um eine Datenmaut?
Angestoßen wurde die Diskussion von der Telekommunikationsindustrie, also großen Netzbetreibern wie der Deutschen Telekom oder Telefonica. Ihnen geht es darum, eine neue Einnahmequelle zu schaffen: Neben den Entgelten, die sie bereits von ihren Kund:innen für den Abschluss von Telekommunikationsverträgen bekommen, wollen sie auch von Inhalteanbietern bezahlt werden – wie zum Beispiel Netflix, dem Rundfunk oder Spotify.
Der von den Netzbetreibern angebrachte Grund ändert sich stetig: mal ist es die zu geringe Rendite, dann wieder fehlende Investitionsmittel oder auch die Instandhaltung der digitalen Infrastruktur, die durch große Datenmengen belastet würde.
Für Verbraucher:innen hätte eine Datenmaut viele Nachteile. Deshalb lehnt der vzbv Netzgebühren in jeder Form ab. Aus Sicht des vzbv besteht die Gefahr, dass eine Datenmaut zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Nach dem Vorschlag der Telekommunikationsanbieter sollen vor allem diejenigen Inhalteanbieter zahlen, die große Datenmengen senden. So entstünde aber eine Art Torwächter für das Internet: Nur wer es sich leisten kann, könnte noch viele Inhalte im Internet anbieten. Die Verhandlungsmacht der Marktteilnehmer wäre ungleich, was mitunter zu Marktmissbrauch führen könnte.
Es ist auch wahrscheinlich, dass die Gebühr an Verbraucher:innen durchgereicht wird. Denkbar ist, dass für gute Streaming-Qualität oder ein breiteres Angebot auch mehr gezahlt werden muss, weil dann mehr Daten verschickt werden. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Netzneutralität, als Grundpfeiler des offenen und freien Zugangs zum Internet, ausgehöhlt wird.
Dazu kommt, dass bisher gar kein Nachweis erbracht werden konnte, dass ein Marktversagen vorliegt. Ein Marktversagen muss aber zwingend nachgewiesen werden, wenn ein funktionierender und weitgehend freier Markt reguliert werden soll. Insofern besteht aus Sicht des vzbv gar kein Regulierungsbedarf.
Südkorea ist das einzige Land der Welt, das Netzgebühren für Inhalteanbieter eingeführt hat. Südkoreanische Verbraucherschützer:innen berichten, dass die Netzneutralität praktisch abgeschafft wurde. Seit der Einführung von Netzgebühren stiegen in Südkorea zudem die Kosten für Breitband. Um Netzentgelte zu sparen, reduzierten einige Inhalteanbieter beispielweise die Qualität ihrer Streamingdienste. Auch wird Traffic über andere Länder umgeleitet. Die längeren Wege führen nicht nur zu einer qualitativen Verschlechterung des Inhaltes, sondern vergrößern auch das Einfallstor für IT-Sicherheitsvorfälle. Erwartet wird, dass weniger in die Infrastruktur investiert und die digitale Transformation verlangsamt wird. Auch besteht die Gefahr, dass es zu Marktkonzentration und Dominanz einiger weniger Telekommunikationsunternehmen kommt.
Für die einzelnen Verbaucher:innen ist es praktisch unmöglich nachzuvollziehen, weshalb ihr Dienst plötzlich teurer wird oder in schlechterer Qualität bei ihnen ankommt. Verbraucher:innen sind diejenigen, die jeden Monat ihre Tarife zahlen und dennoch wenig Einfluss auf die gelieferte Qualität haben.
Seit über einem Jahr werden Netzgebühren für Inhalteanbieter auf europäischer Ebene diskutiert. Vorangetrieben wird das Thema von den Telekommunikationsanbietern aber auch der Europäischen Kommission. Im Frühjahr dieses Jahres gab es eine sogenannte Sondierungskonsultation. Diese kann angestoßen werden um festzustellen, ob überhaupt ein Problem besteht und inwieweit Maßnahmen ergriffen werden müssen. Sie ist also ein erster, informellerer Schritt. Bevor ein Gesetzentwurf veröffentlicht werden kann, muss laut den Regularien der Europäischen Kommission aber immer eine formelle Konsultation zum Thema stattfinden.
Bisher konnte in der Sondierungskonsultation aus Sicht des vzbv kein Marktversagen nachgewiesen werden, was die Voraussetzung für weitere regulatorische Maßnahmen wäre. Da die Diskussion aber sehr politisch ist, kann es sein, dass wir trotz allem bereits im Herbst konkrete Vorschläge für eine Netzgebühr auf dem Tisch liegen haben. Der vzbv wird sich weiter dafür einsetzen, dass das notwendige Prozedere eingehalten wird. Alle betroffenen Kreise wie Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Verbraucherverbände müssen die Möglichkeit erhalten, Stellung zu nehmen.