Frau Grunert, wie kürzlich bekannt wurde, haben die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland und 20 weiteren Ländern zwischen Oktober 2021 und Januar 2022 mehr als fünf Millionen illegale Spielzeuge im Wert von 18 Millionen Euro beschlagnahmt. Laut Europol stellten fast alle dieser beschlagnahmten Spielzeuge ein ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko für Kinder dar. Was sagen Sie als Verbraucherschützerin dazu?
Stefanie Grunert: Die fünf Millionen gefundenen Spielzeuge sind das Ergebnis einer konzertierten Aktion gegen den größtenteils online erfolgenden Handel mit gefälschtem Spielzeug. Die Mehrheit der Waren wurde aus Ostasien in die EU, Großbritannien und die USA importiert. Wir müssen davon ausgehen, dass dies nur die Spitze des Eisberges und die Dunkelziffer noch viel höher ist. Und dabei geht es noch um viel mehr als Spielzeug. Die Aktion zeigt: Der Online-Handel und insbesondere Online-Marktplätze sind das größte Einfallstor für nicht rechtskonforme Produkte auf dem europäischen Markt. Eine Entwicklung, die sich durch Corona noch mehr beschleunigt hat.
Im vergangenen Jahr gab es bei den Verbraucherzentralen rund 23.400 Beschwerden zu Konsumgütern, die im Online-Handel erworben wurden. Im Vergleich zu den Jahren davor ist das ein deutlicher Anstieg. Aber auch hier müssen wir davon ausgehen, dass die Anzahl der Geschädigten noch viel höher ist.
Was sind denn die Erfahrungen der Verbraucher:innen mit Produkten aus dem Online-Handel? Worüber beschweren sie sich bei den Verbraucherzentralen?
Zu den häufigsten Beschwerdegründen zählen hier mangelhafte Waren oder Waren, die überhaupt nicht geliefert wurden. Auch schildern uns Verbraucher:innen oftmals Probleme bei der Durchsetzung ihrer Verbraucherrechte, etwa mit der Gewährleistung oder dem Widerrufsrecht. Eine Untersuchung des vzbv aus dem Jahr 2020 zeigt, dass diese Problematiken häufiger bei Bestellungen von außerhalb der EU auftraten.
Unsichere und nicht-konforme Produkte stellen ein großes Sicherheitsrisiko dar und sind potentiell lebensgefährlich. Zudem belasten sie die Umwelt in gleich mehrfacher Hinsicht: Die Produkte gehen regelmäßig schneller kaputt und landen dann im Müll. Das passt nicht zu den Zielen der EU-Kommission und der Bundesregierung, langlebige Produkte zu fördern. Produkte, die verbotene Stoffe und Chemikalien enthalten, gelangen bei der Entsorgung in den Abfallkreislauf. Mit Blick auf die Förderung einer nachhaltigen Gesellschaft sollte das von vornherein vermieden werden.
Was muss aus Ihrer Sicht getan werden, um die Lage zu verbessern?
Derzeit werden auf europäischer Ebene zwei entscheidende Regulierungsvorhaben verhandelt, bei denen Online-Marktplätze eine wichtige Rolle spielen: der Digital Services Act (DSA) und eine neue Produktsicherheitsverordnung. Der vzbv setzt sich seit langem dafür ein, Online-Marktplätze mehr in die Verantwortung zu nehmen. Bisher ziehen sich Online-Marktplätze auf ihre Rolle als Vermittler zurück. Eine Rolle, die ihrem Einfluss in vielen Fällen längst nicht mehr gerecht wird. Den Schaden tragen die Verbraucher:innen.
Was heißt das konkret?
Der DSA soll als horizontaler Rechtsakt alle Online-Plattformen umspannen. Für Betreiber von Online-Marktplätzen wurden zusätzlich Vorschläge für Sorgfaltspflichten integriert. Dies begrüßen wir sehr. Aber das reicht noch nicht: Online-Marktplätze müssen haften, wenn sie die ihnen auferlegten Sorgfaltspflichten nicht erfüllen. Das hat aber keine politische Mehrheit, weder im Rat, noch im Europäischen Parlament. Der vzbv setzt sich dafür ein, die geplanten Sorgfaltspflichten zu schärfen, damit der DSA am Ende nicht wirkungslos ist.
Und was passiert gerade in den Verhandlungen zur Produktsicherheitsverordnung?
Hier ist es ähnlich wie beim DSA – eine echte Verantwortung der Online-Marktplätze wird gescheut, obwohl es eine einfache und unkomplizierte Lösung gegeben hätte. Hätte man Online-Marktplätze als Wirtschaftsakteur definiert, wäre es ihre Pflicht dafür zu sorgen, dass nur konforme Produkte auf den europäischen Binnenmarkt gelangen. Aber auch das findet keine politische Mehrheit. Jetzt gilt es auch hier, die geplanten Sorgfaltspflichten noch einmal zu verbessern. Aus unserer Sicht sollten Online-Marktplätze mit stichprobenartigen Kontrollen überprüfen, ob Dritthändler ihren Verpflichtungen nachkommen. Auch wäre es sinnvoll, Online-Marktplätze direkt in Produktrückrufe einzubinden. Derzeit sieht der Entwurf nur vor, dass Online-Marktplätze Produktrückrufe nicht erschweren dürfen.
Hier muss sich die Bundesregierung in den Verhandlungen dafür einsetzen, Verbraucherschutz zu stärken und Online-Marktplätze stärker in die Pflicht zu nehmen. Verbraucher:innen müssen sich darauf verlassen können, auch beim Online-Shopping Produkte zu erhalten, die sicher sind und den europäischen Regeln entsprechen.