Datum: 15.02.2023

Zu den Auswirkungen geringfügiger Belehrungsfehler auf das Widerspruchsrecht

Urteil des BGH vom 15.02.2023 (IV ZR 353/21)

Die Ausübung des Widerspruchsrechts verstößt gegen Treu und Glauben, wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch welchen den Versicherungsnehmer:innen nicht die Möglichkeit genommen wird, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.

Frau im Rechtswesen hat Laptop, Gesetztesbuch und Justitia vor sich auf dem Tisch

Quelle: Gina Sanders - Fotolia.com

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin macht aus behauptet abgetretenem Recht Ansprüche auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung fondsgebundener Lebens- beziehungsweise Rentenversicherungsverträge mit Versicherungsbeginn zum Jahr 2002 geltend. Die Versicherungsnehmer:innen erhielten jeweils den Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen nebst Verbraucherinformation sowie ein Begleitschreiben zugesandt. Das Begleitschreiben enthielt eine Belehrung, die auszugsweise lautete: „Der Vertrag gilt … als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt der genannten Unterlagen schriftlich widersprechen. … Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs an uns.“ In der Folgezeit zahlten die Versicherungsnehmer:innen jeweils die Versicherungsbeiträge. Im Dezember 2016 bis April 2017 kündigt die Versicherungsnehmerin sukzessive alle Verträge und erhält jeweils den Rückkaufswert ausgezahlt. Im Dezember 2017 erklärt sie für alle Verträge den Widerspruch nach § 5a VVG a.F und fordert noch Zahlung von ca. 10.000 Euro. Das Landgericht weist die Klage ab. Das Kammergericht weist die Berufung zurück. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

 

Die Revision hat keinen Erfolg. Der Grundsatz von Treu und Glauben stünde, wie das Berufungsgericht schon rechtsfehlerfrei festgestellt habe, der Geltendmachung des Rückabwicklungsanspruchs entgegen. Bei einer fehlerhaften Belehrung könne der Versicherer grundsätzlich keine vorrangige Schutzwürdigkeit für sich beanspruchen. Dies schließe jedoch nicht aus, eine Durchsetzung des Anspruchs wegen widersprüchlichen Verhaltens im Einzelfall zu versagen, wenn besonders gravierende Umstände vorlägen, die das Verhalten des/der Versicherungsnehmer:in als besonders treuwidrig erscheinen ließen. Ein vorrangiges schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers in den Fortbestand des Vertrags komme in Betracht, wenn Umstände vorlägen, die den Schluss darauf zuließen, dass der/die Versicherungsnehmer:in auch in Kenntnis seines Lösungsrechts vom Vertrag an diesem festgehalten hätte. Dieser Schluss sei hier gerechtfertigt, da alle Verträge erst im Jahr 2017 nach vorheriger Kündigung und Abrechnung widerrufen worden seien. Der Fehler in der Belehrung über die Schriftform anstelle der seit dem 1. August 2001 ausreichenden Textform könne die Versicherungsnehmer:innen nicht ernsthaft von der Ausübung des Widerspruchs innerhalb der bei ordnungsgemäßer Belehrung geltender Frist abgehalten haben.


 

Hinweis: An diesem Verfahren war der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) nicht beteiligt. Gerne informiert Sie der vzbv alle vier bis sechs Wochen mit einem kostenlosen Newsletter über neue Urteile zum Verbraucherrecht.

Datum der Urteilsverkündung: 15.02.2023
Aktenzeichen: IV ZR 353/21
Gericht: BGH

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