- Auswertung von über 350 Verbrauchermeldungen: Technische Probleme und ungenügende Kundenhilfe können Kauf und Kündigung des Deutschlandtickets kompliziert machen.
- Bonitätsprüfung einiger Anbieter schließt gerade Menschen mit geringem Einkommen vom neuen ÖPNV-Angebot aus.
- Deutschlandticket durch Digitalisierungs- und Abo-Zwang wenig flexibel.
Vor 100 Tagen startete das lang erwartete Deutschlandticket. Um zu prüfen, wie das neue Angebot umgesetzt und angenommen wird, hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) Verbraucher:innen aufgerufen, ihre Erfahrungen zu schildern. Bei den bisher mehr als 350 Rückmeldungen offenbarten sich dabei eine Reihe von Problemen. Zudem wurde die Ausgestaltung als digitales Ticket mit Abo-Zwang kritisiert. Der vzbv fordert, dass der Bestell- und Kündigungsprozess vereinfacht und das Ticket grundsätzlich stärker an Verbraucherbedürfnissen ausgerichtet wird.
„Das Deutschlandticket soll die Mobilität der Menschen vereinfachen. Das wird aber nicht gelingen, solange Kauf und Kündigung des Tickets Verbraucher:innen vor Probleme stellt“, sagt vzbv-Vorständin Ramona Pop. „Wenn Politik und Branche ein digitales Ticket beschließen, muss auch sichergestellt werden, dass dafür die technischen Prozesse funktionieren.“ Mit wenigen Klicks bestellen und einfach wieder kündigen ist für Verbraucher:innen leider nicht immer Realität. Hinzu kommt, dass bei Problemen die Anbieter mitunter schlecht erreichbar sind und die Kund:innen keine Hilfe erhalten. „Der vzbv sieht auch 100 Tage nach Start des Deutschlandtickets erheblichen Nachbesserungsbedarf, damit es ein Angebot für jede:n wird“, sagt Pop.
Allein von Mai bis Juli erreichten den vzbv über 350 Rückmeldungen zum Verbraucheraufruf. Beim Großteil der eingegangenen Meldungen (76 Prozent) wurde das Deutschlandticket erstmalig bestellt. Probleme mit dem Deutschlandticket sind unterschiedlich: Mitunter brach der Bestellprozess einfach ab und nach wiederholtem Buchungsversuch wurden am Ende ungewollt mehrere Deutschlandtickets gekauft. In anderen Fällen ist das bestellte Online-Ticket nicht in der entsprechenden App aufgetaucht.
Gut ein Fünftel (22 Prozent) der bisher eingegangenen Verbrauchermeldungen beziehen sich auf Fälle, bei denen ein bestehendes Nahverkehrs-Abo auf das Deutschlandticket umgestellt wurde. Doch auch der Umstellungsprozess verlief nicht immer reibungslos: Chipkarten kamen nicht rechtzeitig an oder die neuen Deutschlandtickets waren bei Fahrkartenkontrollen nicht lesbar.
Ein weiteres Problem: Nicht alle Verbraucher:innen können ein Deutschlandticket erwerben. In einem Fall wurde einer Person aufgrund einer früheren Privatinsolvenz der Kauf des Tickets verwehrt. Grund war der schlechte SCHUFA-Score. Weil das Ticket nur im Abo erhältlich ist, verlangen einige Anbieter vorab einen Bonitätscheck.
„Alle Verbraucher:innen müssen Zugang zum Deutschlandticket haben“, sagt Ramona Pop. „Bund und Länder sollten auf die Deutsche Bahn AG und die Verkehrsunternehmen einwirken, dass der Kauf des Deutschlandtickets für alle auch ohne Bonitätsprüfung möglich ist – zum Beispiel durch das Angebot anderer Zahlverfahren“, so Ramona Pop. Sollte eine Lastschrift nicht funktionieren, weil das Konto nicht gedeckt ist, kann das Deutschlandticket automatisch ungültig gemacht werden.
Ebenfalls vom Kauf ausgeschlossen wurde eine Person, die kein Bankkonto hatte. Eine Person mit Wohnsitz im Ausland berichtet, dass ohne deutsche Wohnanschrift oder deutsches Konto der Erwerb bei mehreren Anbietern nicht möglich war.
In mehr als der Hälfte der eingegangenen Erfahrungsberichte (54 Prozent) hatten Kund:innen bereits versucht, das Deutschlandticket wieder zu kündigen. Auch hier wurde mehrfach von Problemen berichtet: So sind Kündigungsbuttons nicht aufzufinden oder funktionieren nicht. In einem Fall wurde gemeldet, dass für die Kündigung eine separate Registrierung durchgeführt werden muss. Andere Verbraucher:innen berichten, dass nach einer Kündigung keine Bestätigung seitens des Anbieters versandt wurde. So konnten sie nicht wissen, ob das Abo wirksam gekündigt wurde.
Zudem beklagen die Nutzer:innen, dass Anbieter bei Problemen nicht oder nur sehr schwer erreichbar seien. Anrufe bei Kundenhotlines gingen ins Leere und auf E-Mails werde nicht geantwortet. Zudem wurde berichtet, dass der Bestellvorgang an manchen Stellen zu kompliziert sei: zum Beispiel müsse auch wenn das Deutschlandticket für Kinder gekauft wird, mitunter eine separate E-Mail-Adresse angegeben werden.
Wiederholt äußerten Verbraucher:innen in ihren Erfahrungsberichten Kritik an den starren Fristen für Bestellung und Kündigung. Stattdessen würden sich Kund:innen beispielsweise ein Ticket wünschen, das nach Kauf einmalig 30 Tage gültig ist. Kritisiert wird auch, dass bei einigen Anbietern ausschließlich Smartphone- beziehungsweise Online-Tickets erworben werden können. Das kommt für Menschen ohne Smartphone oder zu altem Gerät einem Ausschluss gleich. Entsprechend wurde der Wunsch geäußert, dass das Deutschlandticket am Schalter oder Automaten erhältlich sein sollte, ohne aufwendige Registrierungs- und Buchungsprozesse.
Ein weiterer Kritikpunkt war, dass das Deutschlandticket nicht mit Fernverkehrszügen kombinierbar ist und nicht auf der gesamten Reise durchgehende Fahrgastrechte garantiert.
Verbraucher:innen können weiterhin ihre Erfahrungen mit dem Deutschlandticket schildern: Verbraucherzentrale.de
Für die Auswertung griff der vzbv auf Rückmeldungen aus einem Verbraucheraufruf zu den Erfahrungen mit dem Deutschlandticket zurück. Die Rückmeldungen erfolgten über ein Online-Formular auf der Webseite der Verbraucherzentralen. Hier gab es zwischen dem 18. Mai 2023 und dem 18. Juli 2023 insgesamt 357 Meldungen von Verbraucher:innen.
Die im Text zitierten Prozentwerte stellen ausschließlich die Verteilung der eingegangenen Meldungen dar. Rückschlüsse auf die Häufigkeit in der Gesamtbevölkerung sind daraus nicht ableitbar.