Jutta Gurkmann: Verbraucherschutz hat ganz viele Dimensionen. Es geht bei unserer Arbeit um die Frage, was einen fairen Wettbewerb ausmacht, wie die rechtlichen Rahmenbedingungen dazu aussehen und wie die Rechte der Verbraucher: innen durchgesetzt werden können. Außerdem haben wir Expertenwissen, mit dem wir die Interessen der Verbraucher:innen auch in Krisen beachten und wahren können. Nach der Flutkatastrophe beispielsweise hat die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen entgeltfreie Rechtsberatungen angeboten. Auf Bundesebene setzen wir uns dafür ein, dass Elementarschäden angemessen abgesichert sind.
Philipp von Bremen: Wir schützen Verbraucher:innen und stellen deren Bedürfnisse ins Zentrum der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Das ist besonders in Krisen wichtig. Aktuell wird zum Beispiel eine Diskussion geführt, wer bei Energieversorgungsknappheit bevorzugt behandelt werden soll – Fabriken oder Menschen in ihren Wohnungen? Hier machen wir uns stark und sagen: Verbraucher:innen sind geschützte Kund:innen, die in jedem Fall weiter versorgt werden müssen.
Philipp von Bremen: Unsere Aufgabe ist es, die Interessen der Verbraucher:innen zu vertreten. Und die große Mehrheit der Verbraucher:innen wünscht sich mehr Nachhaltigkeit und mehr Umweltschutz. Das wissen wir aus mehreren Befragungen und das hören wir aus den Beratungen in den Verbraucherzentralen. Wir sehen die Herausforderung daher eher darin, die politischen Rahmenbedingungen so zu beeinflussen, dass sich Nachhaltigkeit und ein unkomplizierter Alltag eben nicht widersprechen. Es gibt darüber hinaus zahlreiche Beispiele, wie nachhaltiger Konsum auch andere Lebensbereiche positiv beeinflusst. Nehmen wir das Beispiel Ernährung – nachhaltige Ernährung ist tendenziell gesünder.
Jutta Gurkmann: Unser Anliegen ist ein einfacher Zugang zu nachhaltigen Produkten. Das bedeutet eine gute und verständliche Verbraucherinformation. Verbraucher:innen haben meist keine Zeit und Lust, beim Einkaufen nochmal ins „kleine Siegel-Lexikon“ zu schauen. Sie wollen kaufen und sich darauf verlassen können, dass die Information auch hält, was sie verspricht. Bei dieser ganzen Diskussion dürfen wir aber nicht vergessen, dass Verbraucher:innen mit ihrem Konsum nicht die Welt retten können. Die Verantwortung dafür, dass Menschenrechte oder Umweltschutz in Lieferketten eingehalten werden, liegt zuallererst bei den Herstellern und dem Handel.
Jutta Gurkmann: Der Koalitionsvertrag verspricht konkrete Verbesserungen für Verbraucher:innen. Dazu gehören ein Recht auf Reparatur und eine längere Gewährleistung für Produkte, die man lange benutzt. Das spart Geld und ist ein Beitrag für mehr Klimaschutz. Ein weiterer wichtiger Punkt im Koalitionsvertrag ist die EU-Verbandsklage, die verbraucherfreundlich umgesetzt werden soll, während die Musterfeststellungsklage weiterentwickelt werden soll. Das ist auch eine Bestätigung für das Instrument Musterfeststellungsklage, für die sich der vzbv starkgemacht hat.
Philipp von Bremen: Die Richtung stimmt: Insgesamt finden sich im Koalitionsvertrag fast 100 verbraucherpolitische Vorhaben. Viele davon versprechen einen echten Fortschritt in Richtung eines sicheren, nachhaltigen und krisenfesten Alltags. Besonders freut mich, dass beim Klimaschutz die Bedürfnisse von Verbraucher:innen endlich stärker mitbedacht werden.
Jutta Gurkmann: Die private Altersvorsorge muss dringend reformiert werden. Das war in den vergangenen Jahren ein sehr wichtiges Thema bei uns, auch in Zusammenarbeit mit anderen Verbänden und Vereinen. Wir haben einen guten Vorschlag vorgelegt: einen öffentlich organisierten Fonds einzurichten, statt weiter an einer unrentablen Versicherung festzuhalten. Im Koalitionsvertrag steht aber nur ein Prüfauftrag. Das ist eine herbe Enttäuschung.
Philipp von Bremen: Beim Thema Energieeffizienz und erneuerbare Energien im Gebäudesektor ist noch Luft nach oben. Im Koalitionsvertrag steht zwar, dass die Standards für die Energieeffizienz von Gebäuden angehoben werden sollen. Jetzt muss eine ausreichende finanzielle Förderung bereitgestellt werden, damit die privaten Haushalte die neuen Standards auch schultern können. Unzureichende Effizienzmaßnahmen führen zudem zu einem verstärkten Bedarf an erneuerbaren Energien, die aber an anderer Stelle gebraucht werden.
Jutta Gurkmann: Ich wünsche mir eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Und zwar bei den Koalitionsparteien untereinander, wie zwischen dem vzbv und Mitarbeiter:innen im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Die Ansprechpersonen im BMUV sind teilweise neu, zu vielen haben wir aber schon langjährige Beziehungen. Und auch mit allen anderen Ministerien wünschen wir uns einen guten Austausch. Wir möchten gemeinsam für einen starken Verbraucherschutz arbeiten, der sich durch alle Lebensbereiche der Verbraucher:innen zieht.
Philipp von Bremen: Nachhaltigkeit ist ein klassisches Querschnittsthema. Hier wünsche ich mir von der Bundesregierung, dass sich die Frage nach Umweltverträglichkeit und Klimaschutz über alle Ressorts erstreckt und mitgedacht wird.
Das Interview wurde für den Jahresbericht 2021 des vzbv geführt.